Eugene Gendlin
Interview der Gesellschaft für Wissenschaftliche Gesprächstherapie mit Astrid Schillings*
zum Tod von Eugene Gendlin.
„Er war rigoros im Erforschen des Erlebens“
Eugene T. Gendlin war Professor für Psychologie und Philosophie an der Universität von Chicago. Er begründete die Focusing-Methode und erweiterte damit den Personzentrierten Ansatz um einen wesentlichen Bestandteil, die erlebensorientierte Ausrichtung.
Am 1. Mai 2017 ist Eugene T. Gendlin im Alter von 90 Jahren gestorben. Die psychologische Psychotherapeutin und ausbildende Koordinatorin des internationalen Focusing Instituts, NY, Astrid Schillings*, kannte ihn seit 1993 und war mit ihm in fortlaufendem Dialog persönlich verbunden.
Zweites „Thinking At The Edge“ in Stony Point, NY Foto: Bill Fraser
Interview mit Astrid Schillings:
Vor einigen Tagen verstarb Eugene Gendlin, der Begründer des Focusing.
Wie würden Sie in wenigen Worten seinen Verdienst für Psychotherapie und Beratung beschreiben?
Ja, das ist frisch noch. Wie Eugene Gendlins herausragende Verdienste in wenigen Worten würdigen? Zunächst einmal hat er auf vier Gebieten grundlegende Paradigmenwechsel formuliert: In der Psychotherapie und Beratung, in der Philosophie, in der psychologischen Forschung und in der Selbsthilfe für Laien. Sein Lebenswerk ist nur in dieser Gesamtschau zu würdigen, auch wenn ich mich hier auf Schwerpunkte beschränke.
Für die Psychotherapie-Forschung der späten 50ger /frühen 60ger Jahre war es sicher ein Paradigmenwechsel, als Gendlin „Erleben als Prozess“ einführte. Es ging ihm um ein bewusstes Sich-Beziehen auf das unmittelbare Erleben („Experiencing“) im Unterschied zur Erfahrung als Konzept („experience“).
In dem bahnbrechenden Aufsatz „The Theory of Personality Change“ (1964) legt Gendlin minutiös dar, wie das Selbst, die Persönlichkeit, lebende Prozesse sind und wie er „Pathologie“, Störung, Abwehr, Widerstand als unterbrochene Prozesse versteht. Um die Andersartigkeit dieses Prozesses zu verdeutlichen, wählte er die Metapher des elektrischen Stroms, der fließt oder nicht. In der menschlichen Interaktion, im aktiven, teilnehmenden Zuhören des Therapeuten und im Sich-Verstanden-Fühlen des Klienten kann das, was stockt, also nicht fließt, eine Antwort finden. Im Moment des Verstanden-Werdens bewegt es sich im Klienten und der Prozess kann weiter fließen. Gendlin spricht von der „Responsive Order“, auch von der „Fortsetzungsordnung“ des Lebendigen. Etwas antwortet im Klienten, wenn wir ihn als TherapeutInnen hören. Die Focusingorientierung unterstützt die Tiefung dieses Prozesses, indem sie dem Menschen hilft, sich bewusst auf dieses „Etwas“, das da leben will, zu beziehen, auf den „Felt Sense“. Das geht über das Verbalisieren emotionaler Erlebnisinhalte und Kognitionen hinaus.
Es war also ein Paradigmenwechsel vom Inhalt zum Prozess der Lebens- und Erlebensbewegung. Wir „sind“ das Leben und wir „halten“ es in Gewahrsein.
Gendlin formulierte eine erlebensorientierte Phänomenologie, seine Philosophie des Impliziten. Maßgeblich dabei ist sein erweitertes Prozessverständnis des lebenden menschlichen Körpers und der Person. Damit schuf er auch eine präzise philosophische Fundierung für den Personzentrierten Ansatz. Sein Gesamtwerk „A Process Modell“ bietet ein Modell, die andauernde Interaktion von Körper-Umwelt-Bewusstsein zu erforschen.
Gendlin war zu Beginn seiner Forschungslaufbahn Mitarbeiter von Carl Rogers. Welchen Einfluss hatte Rogers auf die Arbeiten von Gendlin?
Weder Focusing noch der Personzentrierte Ansatz wären ohne die Kollaboration von Rogers und Gendlin, das, was sie jetzt sind. Rogers war interessiert an den Bedingungen, die Veränderung, Entwicklung der Person hervorbringen. Gendlin war interessiert am Prozess der Veränderung, an dem „Wie setzt sich Leben fort?“. Carl Rogers fand Gendlins Theorie des Erlebens fruchtbar für den Personzentrierten Ansatz und übernahm sie. Gendlin wiederum konnte seine philosophischen Konzepte in der psychotherapeutischen Forschung empirisch überprüfen und wurde im Team von Rogers Research Director, dort entwickelte er auch die „Experiencing Scales“, die heute noch in weiterentwickelter Form in Gebrauch sind. Gendlin hat sich immer als personzentriert verstanden und die Bedingungen für eine heilsame Beziehung von Carl Rogers als Rahmen auch für das Focusing akzeptiert. Für ihn waren sie Teil des interaktiven Prozesses. In einem Punkt war er mit Rogers uneins. Gendlin glaubte nicht, dass der Klient bewusst das positive Beziehungsangebot wahrnehmen muss. Vielmehr lebe der Klient schon körperlich anders in Interaktion mit dem Therapeuten. Das bringe Veränderung, auch wenn der Klient das zunächst nicht bewusst bemerkt.
Gendlin gründete 1963 die Zeitschrift „Theory, Research and Practice“ als Organ der American Psychological Association, die Gendlin mehrmals auszeichnete – auch mit dem ersten „Distinguished Professional Psychologist Award“. 2008 erhielt er den Viktor Frankl Preis und 2016 verlieh ihm die WAPCEPC den Life Time Achievement Award, im selben Jahr erhielt er diesen Preis auch von der US Associaton for Body Psychotherapy.
Focusing ist in aller Welt verbreitet. Was zeichnet Focusing aus, dass es über Kultur- und Sprachgrenzen hinaus erfolgreich wurde?
Im Innehalten und Entwickeln des „Felt Sense“, des spezifischen körperlichen Gewahrens ihrer ganzen Lebens-Situation, erleben Menschen, wie sie mehr sind, als Routine, kulturelle Normen, Konventionen, Worte, Muster, auch mehr sind als schon bekannte Gefühle und Emotionen. Sie spüren, wie frische Bedeutungen von selbst in ihnen entstehen aus ihrem Körper heraus. Bedeutungen, Konzepte und Lebensrichtungen, die sie vorher nicht gedacht und nicht gefühlt haben. Diese Möglichkeit der 'pre-reflexiven Erkenntnis' im lebenden Körper ist universell - ein Spüren „unter“ die Kultur und Sprache in Wechselwirkung mit ihr.
Hier ist auch Focusing als Selbsthilfe zu nennen. In dem Buch „Focusing“ (in 17 Sprachen übersetzt, und seit 1978 kontinuierlich neu aufgelegt) schreibt Gendlin praktisch und lebensnah. Er wollte das Veränderungswissen von Focusing nicht auf akademische Kreise und Anwendungen begrenzen. Heute finden wir Focusing in „Community Wellness“, in der Flüchtlingsarbeit, mit Kindern, in der Schule, in Krankenhäusern, als Focusing-(Austausch) Partnerschaften, in denen sich Menschen gegenseitig begleiten, in der Changes-Group Bewegung (seit 1973), und nicht zuletzt als Focusing in der spirituellen Sinnfindung. Bemerkenswert ist, dass bei dieser lebenspraktischen Vermittlung des Focusing auch die personzentrierten „Grundhaltungen“ wie Bedingungsloses Wertschätzen, Empathie, Echtheit mit vermittelt werden, weil sich der Focusing-Prozess ohne ein Beziehen ins eigene Erleben und ein ausreichend funktionierendes Beziehen zwischen den Focusing-Partnern nicht entfalten kann.
Wird der Tod von Gendlin Auswirkungen auf die Weiterentwicklung von Focusing haben?
Was sich ändert, nun wir können ihn nichts mehr fragen. Noch bis kurz vor seinem Tod war er rigoros im Erforschen des Erlebens und entdeckte Frisches. In allen seinen Schriften und Worten hinterlässt er Spuren. Er hat alles, was in seiner Kraft stand getan, dass wir selbst erkunden, selbst in uns Antworten und vor allem unsere eigenen Fragen ans Leben finden. Er hat uns zur Quelle begleitet...
Als Mensch in der Begegnung war Gendlin außergewöhnlich einfühlsam, authentisch-bescheiden, ja fast scheu bei gleichzeitig herausforderndem intellektuellen Tiefsinn und feiner ausdauernder Präzision. Als Therapeut warmherzig und streng als Philosoph.
Unter dem Schirm des jetzt Internationalen Focusing Institut,1985 von Gendlin gegründet, sind alle, die in Focusing ausbilden und arbeiten, weltweit mit einander verbunden. Der Vorstand und ein Internationaler Führungsrat gestalten im erlebensgeleiteten Gespräch mit den Focusing-Koordinatoren derzeit den Übergang in neue lebende Strukturen. Die Mitglieder beider Gremien rotieren. Deutschsprachige Ratsmitglieder sind derzeit Prof. Hejo Feuerstein und Dr. Donata Schöller. Eine Europäische Focusing Association (EFA) für regionale Zusammenarbeit, Ko-Kreieren von Veranstaltungen, Austausch zur Weiterentwicklung und Verbreitung des Focusing wurde 2016 von europäischen Koordinatoren gegründet. Jede und jeder Focusing-Praktiziernde in Europa kann Mitglied werden.
Gendlin hatte schon als junger Philosoph „Ein Prozess Konzept von Beziehung“ (1957) entwickelt und erforschte die Symbolisierung des Erlebens im Bewusstsein (1958) in siner Promotion.
Seine philosophischen Untersuchungen legten Erleben als Prozess nahe und rückten ab und 1962 in „Experiencing and the Creation of Meaning“.
Er eine neue erlebensorientierte Phänomenologie, die Philosophie des Implitziten, und formulierte ein erweitertes Prozessverständnis des lebenden menschlichen Körpers und der Person. Damit schuf er auch eine präzise Basis für den personzentrierten Ansatz.
*Astrid Schillings, Psychologische Psychotherapeutin hat 1998 das Focusing Institut Köln mit Unterstützung von Eugene Gendlin gegründet. Sie ist ausbildende Koordinatorin des Internationalen Focusing Instituts, NY, und war von 2008 -2013 auch im Vorstand. Sie gibt international Weiterbildungen zu Focusing in Beratung, Psychotherapie, Coaching, Pädagogik und kreativer Berufspraxis sowie für Laien. Ihr besonderes Anliegen ist die Entwicklung des „Focusing with the Whole Body“.
Videos zur Arbeit Eugene Gendlins:
Interview als Download (PDF)
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Termin: 20.-24. August 2025
Focusing with the Whole Body: The Bodying Person in Psychotherapy
Workshop 07. Juni – 09. Juni 2024 in Budapest
Astrid Schillings
Sensing the Existential Ground in Us -
Focusing with the Whole Body (FWB) in Challenging Times
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